Jig For John

Wenn das Ohr sprechen könnte würde es sagen: „Ich kann nicht sehen“!

Vorüberlegungen

Obwohl es Merce Cunningham selbst unbehaglich war, Bewegung als zweidimensionale, symbolische Repräsentation – der zeitliche und leibliche Aspekte des Tanzes entgehen – festzuhalten, griff er mangels Alternativen auf solche Abstraktionen zurück. Linien- und Pfeilkomplexe dienen ihm als Notationssystem. Doch was bedeutet Bewegung, wenn sie aus der Vogelperspektive in die Ich-Perspektive der Tänzer übergeht? Die Linie entpuppt sich dann als Abstraktion der leiblichen Orientierung im Raum. Und jene ist nicht neutral: Sie teilt den Raum in links und rechts, hinten und vorn und versieht den kartesischen Koordinatenraum mit Richtungen: Sie verbindet und trennt gleichzeitig.

Der Linienverlauf hängt nun von den Impulsen der Tänzer ab. In diesem Sinne repräsentiert sie Motivation, Impuls, Begehren. Neben diesen menschlichen Regungen müssen die Eigenbewegung der räumlichen Umgebung einbezogen werden: Treibsand, bewegte Schatten, Wellenschläge machen es kaum möglich von einer klaren Linie zwischen A und B zu sprechen. Stattdessen müssen Umwege, Pirouetten, Ausweichmanöver in Betracht gezogen werden.

Die Linie als kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Lüge. Der Raum spannt sich zwischen den organischen und anorganischen Elementen, die ihn bevölkern auf! So fordert der Raum selbst zum Tanz.

KonzeptDie Choreografie zu Jig for John besteht zunächst aus einer Raumaufteilung. Die  Grundfläche der Spielfläche, wird in 9 Quadranten unterteilt. Jeder Durchquerung eines Quadranten wird ein Takt, sowie die Dauer zugewiesen. In welcher Dynamik, welcher Fortbewegungsart und Richtung die Quadranten durchlaufen werden, steht der Performerin Jai Gonzales frei. Visuell werden sie durch einen Lichtwechsel voneinander geschieden – nach Ablauf der festgelegten Zeit für das jeweilige Quadrat, wird die Tänzerin von der Seite ausgeleuchtet. Sie selbst fällt auf der Grenze in eine Grundhaltung zurück, um die Haltung für den nächsten Teil einzunehmen. Die gesamte Fläche wird so in verschiedene Quadranten unterteilt, die durch die unterschiedlichen Parameter mit denen sie versehen sind, unterschiedliche Dynamiken verfügbar machen. Diese Aufteilung verweist auf die 8 +1 Emotionen, die den 16 Dances zugewiesen sind, reduziert sie jedoch auf unterschiedliche Geschwindigkeiten und Zeiträume.

Auch das Licht fungiert nicht als illustratives Element: Es dient nur dazu, die Grenze des Raumes zu definieren. Durch eine Eigenbewegung tritt es schließlich in Interaktion mit dem Raum und den Bewegungen der Tänzerin.  Festgehalten wird die Performance durch zwei unabhängig voneinander agierende Filmteams, die verschiedene materielle Einschränkungen und Möglichkeiten haben. Das erste Team dreht auf 16mm mit einer handlichen Kamera; Das zweite hat eine digitale Kamera mit Dollysystem zur Verfügung, sodass die Bewegungsspielräume und möglichen Perspektiven sich unterscheiden.

Der Komplex „Tanz“ wird so in verschiedene Parameter dividiert, nur um sie für die Performance wieder einzeln in Bewegung zu setzen. Statt von vorneherein die Korrelationen zu planen, ergeben sich aus der Parallelität der Bewegungen Schnittpunkte und Abstände. Tanz – so die Vermutung, die mit diesem Versuchsaufbau erhärtet werden soll – findet in den bewegten Relationen all dieser Parameter statt. Auch die filmische Position wird im Moment der Aufzeichnung Teil davon und kann sich nicht auf eine enthobene Metaperspektive zurückziehen

Regie: Aron Kitzig

Kamera: Benjamin Breitkopf

Tänzerin: Jai Gonzales

16mm SW