Station to Station 2022

Videokonzeption: „Station to Station“ Von Marie Steiner und Aron Kitzig (dokumentarischer Mitschnitt vom Konzert 08.10.2022, Dresden Hauptbahnhof)

“Wir wander, wir wandern, von einem Ort zum anderen…”

1. Satz Mahler: „Das Trinklied vom Jammer der Erde“

»Dunkel ist das Leben, ist der Tod.« Diese Beschreibung ist historisch gesehen eine zutiefst in der Entstehungszeit der späten industriellen Revolution zu verortende Analyse und erkennt auch die politische Dimension menschlicher Hybris an. 

Szenen: „Ich habe mich niedergelassen an einem Punkt, an dem ich unentgeltlich einen Blick in die Weite habe: wo immer man steht auf dem erkalteten Boden Dieses abgespaltenen Punktes, immer schweigt über dem Kopf Das gleiche frostige Ich…“
Die Welt ist noch nicht sichtbar. Der Mensch fällt in die Welt. Sichtbar wird das Zeitliche, das Fallen, durch nacheinander gezündete Blendgranaten, welche gleich einem Urknall die Szene in Licht und Schatten teilen. Er landet in einer sumpfigen Welt aus ineinander geschlungenen Körpern – Arme und Beine greifen nach ihm, vereinzelt werden ihm Becher entgegengestreckt, David Bowie hockt auf einem Ast und trinkt.

2. Satz Mahler: “Der Einsame im Herbst”

“Schade das du nicht da bist. Ich verharre in einem derart stolzen Augenblick, das er sich zu einem Tumor der Epoche auswächst; aber wie wird man diese benennen, was werden jene sagen, die uns um eine dicke geologische Schicht übersteigen werden, stehend auf unserem Müll, auf unserer Lüge, auf unvertretbarem Plastik, in Perfektionierung der eigenen Mischung von Müll und Leid – ich weiß es nicht.”

Szene: Der Mensch ist jetzt nicht mehr in Distanz zu der Welt, sonder in der Welt. Die Tänzerin durchkreuzt einen schlammigen Sumpf, Stolpern und Hinfallen werden zu unsichtbaren Vorgängen, da der Körper nie den Boden berührt. Es regnet auf den Menschen nieder und durch dichten Nebel und starkes Gegenlicht verschwimmt die Szene – die Konturen lösen sich hin zur Unkenntlichkeit auf. David Bowie steht und raucht.

3. Satz Mahler: “Von der Jugend”

“Es gibt Abwechslung: Der Zunge der Kraniche, Schatten von Palmen und Hochhäusern,Donner, bauschige Wolken. Aber schon genug über mich, wie geht es Dir, was kann man sehen, wenn man du bist?” es nicht.”

Szene: Die Landschaft verändert sich. Die tiefen Furchen der Sumpflandschaft werden zu kleinen Bächen. Es wird eine zaghaft blühende Wiese sichtbar. Ein Sonnenaufgang zieht sich zu einer Ewigkeit hin, die andauernde Wärme verspricht. Die Bewegungen der Tänzer*innen gleichen einem chaotischem Spiel. Am Ende steht die Szene in Toplicht eingekleidet da und die Konturen verschmelzen zu schmatzenden verliebten Fratzen. David Bowie liegt auf einer Bank und lacht.

4. Satz Mahler: “Von der Schönheit”

“Ich verharre in einem derart stolzen Augenblick, das er sich zu einem Tumor der Epoche auswächst; aber wie wird man diese benennen, was werden jene sagen, die uns um eine dicke geologische Schicht übersteigen werden, stehend auf unserem Müll, auf unserer Lüge, auf unvertretbaren Plastik, in Perfektionierung der eigenen Mischung von Müll und Leid – ich weiß es nicht.”

Szene: Die Landschaft verwandelt sich in einen wilden sommerlichen Wald, der sich durch Farne, Büsche und exotische Blumen zu einem regelrechten Urwald auswächst. Die Körper erheben sich und befinden sich in einer ständigen Verwandlung, teils fliegen sie, teils scheinen sie zu ringen. Ähnlich eines Vogelschwarms. Durch Gegenlicht und Pendellampe wird das Geschehen in eine turbulente Schwingung versetzt. David Bowie lehnt an einem Baum und schläft. Wir wandern wir wandern von einem Ort zum anderen….

5. Satz Mahler: “Der Trunkene im Frühling”

“Wie eine Schrottpresse formt jede Sekunde die nächste Stufe – und sie wachsen unter den Füßen. Aber schon genug über mich. Sag wie dir die Zeit vergeht – und ob die Zeit dir etwas bedeutet, wenn man du ist?”

Szene: Die Farne und Büsche werden kleiner und verschwinden am Ende ganz. Es bleibt eine große Wiese. Die Körper haben sich zu einem großen Haufen zusammen gerauft und atmen. Das Licht harrt stoisch von der Seite und verfärbt sich in ein tiefes Rot. David Bowie raucht und dreht sich schnell im Kreis.

6. Satz Mahler: “Der Abschied”

“Ich vertiefe mich in den Leib, in welchem die geheimen Urteile des Todes oder lebenslangen Strafe chiffriert sind – was sich im sumpfigen Grunde der Sache nur wenig unterscheidet, und doch vereinnahmt mich diese Lektüre. Aber schon genug über mich. Sag, wie du dich fühlst mit meinem Schmerz – wie schmerzt dich dein Mensch?”

Szene: Aus der Wiese beginnt ein Birkenwald zu wachsen, weiß, kahl und unergründlich. Das organische Zusammenspiel der Körper vereinzelt sich und löst sich auf, sie werden eins mit dem Boden auf dem die Bäume wachsen. Die letzte Bewegung gefriert zu einer Statue und fällt aus der Welt. Ein Pferd springt in einem großen Satz auf die Kamera zu und verschwindet. Affen und Vögel werden in den Bäumen sichtbar. Schmetterlinge und Heuschrecken bevölkern den Wald. Ein Albinopfau durchkreuzt den Wald. David Bowie ist nicht mehr da.

Aron Kitzig: Regisseur, Marie Steiner: Choreografin, Carolyn Amann: Text

CAST

Martyna Lodej: Tänzerin, Kelvin Chan: Tänzer 1, Zuzanna Smetackova: Tänzerin 2, Julius Bornmann: Schauspieler

CREW

Andreas Haas: Kameramann, Daniel Merget: Kameraassistent, Tino Richter: Kameraassistent, Paulo Muenchrath: Phantom-Operator, Peter Erlemann: Oberbeleuchter, Michael Johannes Schmitz: Beleuchter 1, Joran Ost: Best Boy, Pascal Delgado Hernandez: Lichthilfe, Patrick David: Ausstatter, Edis: Ausstattungsassistent, Produktion: Sami El Khaschab (PM Blue), Catering: Staatsarchiv Dreseden, Location: Martin Hörl

MUSIK

Gustav Mahlers »Das Lied von der Erde«, in einer neuen Fassung von Fabian Dobler

Kremerata Baltica: Orchester, Fuad Ibrahimov: Dirigent, Tuomas Katajala: Tenor, Markus Brück: Bariton

Projekt: Station to Station

Daniel Kühnel: Künstlerischer Leiter, Sandro Frei: Technischer Direktor

Aufführung: Hauptbahnhof Dresden 08.10.2022