Die Installation „Spiegel“ im Rahmen des Konzertes “Auferstanden!” dient als Versuchsaufbau, um dem speziellen Verhältnis von materiellem Bildträger und Bildinhalt, wie es in den Vera Icon – den “wahren Bildern” – vorgezeichnet ist, auf die Spur zu kommen: Das Video ist nicht zu trennen von der Projektionsfläche auf
der es sich zeigt – Bild und Sound von Video und Leinwand vermischen sich und werden als eins wahrgenommen. Die Verwendung des Wasserfalls als Projektionsmedium stellt eine visuelle Analogie zur fließenden Materialität des Tuchbildes dar und evoziert zugleich die Auffindungslegenden der bekannten Acheiropoíeta „was im Griechischen, für nicht von Hand gemachten Bildern, steht“.
Die Wasser-Leinwand dient so nicht bloß als transparenter Bildgrund, sondern entfaltet seine Wirkung als Objekt im Raum: Der Wasserfall leugnet seine materielle Beschaffenheit nicht, sondern macht sie im Gegenteil hör- und spurbar. Ähnlich wie bei den Vera Icon verschwimmt die Trennung zwischen Signifikat und Signifikant – mit dieser Uneindeutigkeit soll gespielt werden. Das Video beginnt mit einer Makro-Aufnahme eines Auges und öffnet sich zu einer filmischen Adaption der Vera
Icon: Nur das Gesicht des Schauspielers ist zu sehen, der Körper unsichtbar im schwarzen Hintergrund. Von der leiblichen Position im Raum wird zunächst abstrahiert. Bildausschnitt und Lichtstimmung im Video nehmen Bezug auf das Cusanus – Experiment: Mitte des 15. Jahrhunderts lässt der Theologe, Philosoph, Diplomat und Mathematiker ein Bild Christi (nach der Vera Icon) anfertigen, um den göttlichen Blick zu demonstrieren. Er schickt es samt einer Beschreibung des Versuchsaufbaus an ein Kloster nach Tegernsee: Die Mönche sollten das Bild an einer Nordwand aufhängen und sich zunächst im Halbkreis darum aufstellen – jeder einzelne werde den Eindruck haben, vom Blick des Christus-Antlitzes angeschaut zu werden. Dann Bewegung: Einer der Mönche solle sich auf dem Halbkreis um das Bild herumschlendern und werde feststellen, dass der Blick des Bildes ebenfalls in Bewegung gerate: Er scheint ihm zu folgen. Im letzten Schritt laufen sich mehrere Mönche entgegen und tauschen sich über ihre Eindrücke aus. Beide machten nun simultan die Erfahrung angeschaut zu werden. Im Video bewegt sich das Licht während der Kamerafahrt im Halbkreis um den Schauspieler und stiftet auch auf dieser Ebene den Bezug auf das Cusanus – Experiment. In der Bedienungsanleitung,
die er den Tegernseern Mönchen zur Vera Icon mitgibt assoziiert Cusanus die im Halbkreis angeordneten Blickrichtungen auf das Bild mit dem Sonnenverlauf von Ost nach West. Zwar kommt in dieser Versuchsanordnung erst im offenen Raum, der leiblich durchschritten werden kann, die Wirkung des Bildes zur vollen Entfaltung, doch das Bild selbst muss nicht bewegt werden, damit die Blickrichtung den Mönchen zu folgen scheint. Der Raum öffnet sich zunächst nur auf Seiten der Betrachter. Die so aufgestellte Behauptung einer räumlich (wie auch zeitlich) ungebundenen Bickrichtung, die von (n)irgendwoher überallhin schaut wird in der
zweiten Hälfte des Clips relativiert: Mit langsamer Kamerafahrt und Lichtwechsel öffnet sich der Ausschnitt zu einem Bruststück, das an Durers Munchner Selbstbildnis angelehnt ist. Der absolute, göttliche Blick wird damit verkörpert: Leiblich und räumlich ruckgebunden. Die absolute Perspektive bekommt einen Ort zugewiesen und weist dennoch darüber hinaus. So wie die Selbstdarstellung Durers im Munchner Selbstporträt (Selbstbildnis im Pelzrock Albrecht Dürer, 1500, hängt heute in der Alten Pinakothek) sich im Spannungsfeld zwischen sakralen
und säkularen Bildelementen bewegt – indem er beispielsweise mit der Ambiguität zwischen göttlichem und kunstlerischen Schöpfungsaktes spielt – wird auch in dieser Dramaturgie das sakrale Bild räumlich – materiell “verortet”. Durers Selbstportät war zudem mit einer politischen Aneignungsgeste verbunden: Mit der Wahl eines nicht standesgemäßen Marderpelzes, maßt er sich an, die vermeintlich gottgebene Ständeordnung in Frage zu stellen. Zum Ende der 9 minütigen Projektion auf der Wasserleinwand ergießt sich zunächst leichter Nieselregen über dem Schauspieler, der sich im Verlauf zu wasserfallartigen Regengussen auswächst. Zwischen filmischer Dramaturgie und der Szenografie entfaltet sich eine weitere Dimension: Die Grenzen zwischen Material im Bild und dem Material des Bildes (hier der Projektionfläche) werden buchstäblich aufgeweicht – der Prozess der materiellen Ruckbindung von Bedeutung auch auf dieser Ebene fortgesetzt. Das Bild selbst offenbart das Dispositiv seiner Sichtbarkeit. Das filmische Narrativ uberschreitet sich selbst. Der Bildraum geht im realen Raum auf. Besonders im letzten Bild der Installation wird dieser Aspekt deutlich: Die kontemplative Stille, nachdem der Wasservorhang gefallen ist, lenkt das Augenmerk auf den Saal und öffnet den Raum fur einen Nachhall der Bilder. Die Aufmerksamkeit der
Zuschauer konzentriert sich – im besten Falle – nicht mehr nur auf einen zentralperspektivischen Mittelpunkt, sondern kann sich den Relationen zwischen Raum, eigenen Bildern, Klang, und nicht zuletzt den sozialen Verhältnissen im Raum widmen. Auch hier eine Referenz zu Cusanus: Das Experiment, wie er es den Tegernseern Mönchen aufgibt, kommt nicht ohne soziale Interaktion aus. Erst als geteilte Erfahrung wird die ganze Brisanz des allsehenden Blicks deutlich. Ohne sozialen Raum – bei ihm in Form von Zeugenschaft – kann es keine absolute Perspektive geben. Erst im pluriperspektivischen Diskurs ergibt sich die Möglichkeit uber die einzelne Position hinauszutreten. Die Buhnen – Installation wird durch ein Porträt – Foto ergänzt. Dieses Bild soll den Grundstein zu einem Triptychon bilden, dass im Zuge der nächsten drei Jahre komplettiert wird. Das Bild lehnt sich (wie auch das Schlussbild des Videos) an das Selbstbildnis Durers an. Hier lässt sich erneut die Brucke zur Vera Icon und den Acheiropoíeta schlagen: Denn Durer lehnt sich bei seiner Selbstdarstellung an die hiratische Frontalität der bekannten
Vera Icon Darstellung an.
Doch auch die Wahl des Mediums “Fotografie” öffnet einen gedanklichen Weg zu den “wahren Bildern”: Es gibt ein physisches Kontinuum zwischen Bildträger und Dargestelltem: So handelt es sich zu Beispiel bei den bekannten Tuchbilder meist um Abdrucke eines Gesichtes. Jene Bilder kommen also ohne subjektive Vermittlungsschritte durch einen Künstler aus – stattdessen bildet sich das Objekt quasi “wie von selbst” ab. Dabei stempelt sich eine ewige, divine Sphäre dem vergänglichen, geschichtlichen Material der Welt auf. Dadurch wird Unsichtbares sicht- und erfahrbar. Schon in den ersten Versuchen, der Fotografie theoretisch auf die Schliche zu kommen, wurde jene mit Bildern dieser Art in Verbindung gebracht: Auch beim Belichtungsverfahren prägt sich das Bild von selbst ins Material ein; auch die Fotografie bewegt sich zwischen verschiedenen Zeitebenen; Auch hier wird etwas Unsichtbares sichtbar – die Vergangenheit zeigt sich in der Gegenwart, Dauer und Moment kulminieren in einem Objekt. Die Hoffnung der spiritistischen Fotografen, das damals noch neue Medium könne die Seele abbilden, legt davon ein – zugegebenermaßen etwas überspanntes – Zeugnis ab
Regie: Aron Kitzig
Kamera: Fabian Beyer
Starring: Julius Bornmann
Dramaturgie: Joshua Wicke
Uraufgeführt in der Laiszhalle im Rahmen des Eröffnungskonzertes des Reformationsjahres. Unter der Leitung von Daniel Kühnel und Jeffrey Tate