Totentanz

Wenn der Tod seine knöcherne Hand ausstreckt und zum letzten Tanz bittet, ein Tod, der zu allem und jeder kommt, birgt das in sich nicht nur die Mahnung der Vergänglichkeit des organischen Lebens, es eröffnet auch ein Verständnis des Todes als kollektives Moment. In unserer Reaktualisierung des mittelalterlichen Totentanzes stützen wir uns auf das ihm innewohnende Potential, dass in seiner Klarheit und Sensationalität an nichts eingebüßt hat. Der Tod, in Wort und Bild, ist niemals ein wertender. Auch wenn er zumal manchen Ständen spöttisch daherkommt, bezieht sich seine Kritik nur auf dem Selbstverständnis der Stände in der Welt, niemals jedoch auf die Art und Weise, wie diese Rolle vom jeweiligen Menschen ausgeführt wurde. Er erscheint unaufhaltsam, als Antipode des Lebens und fordert die Sterbenden auf, sich freizumachen. Frei von der sozialen Stellung, die sie im Leben bekleidet haben, frei von Leidenschaften, Lust und Schmerz. Denn der Tod steht auf der anderen Seite, was bedeutet, dass auch alles Streben, alle Liebe, alle Angst zum Leben und zu den Lebenden gehört.

Der Tod begleitet den Übergang. Durch ihn erfahren wir nichts über ein mögliches Leben danach, kein Gericht, keine Hoffnung. Wie die Kehrseite einer Medaille, die den Blick nur auf sich selbst freigibt. Doch wir erfahren zumindest, dass der Tod für alles Leben unausweichlich ist und 33
alles zumal Gelebte sich in ihm wiederfindet. Ein Gedanke, der etwas Beruhigendes hat. Denn auch wenn umgangssprachlich vom „Sterben allein“ gesprochen wird, im Tod ist man mit allen, die bereits gestorben sind.

So ist die Darstellung des Todes, als Gerippe, dem vielleicht das eine oder andere Mal die Haut noch in Fetzen hängt, zugleich auch die Darstellung der Toten selbst. Im Gerippe, dass dem Menschen stets innewohnt und sich nur nach dessen Tod als Ganzes zeigt, ist der Tod der bereits gestorbene Mensch. Diese Perspektive, die der Totentanz eröffnet, lässt einen Tod denken, in welchem die Lebenden von den bereits gestorbenen Menschen abgeholt und in den Tod begleitet werden. Dieses Eingehen in die Reihen der Gestorbenen, in die Toten, ist somit zugleich ein Einreihen in den Reigen, in eine kollektive Erfahrung. In der Vielheit des Todes und der Toten ist der Mensch nicht einsam, nicht allein.

Doch zurück zum Tanz. Auch hier zeigt sich im Totentanz eine kollektive, als auch eine egalitäre Perspektive. Die dargestellten Tänze, ob nun als Branle, ein Reigen mit regelmäßigem Wechsel der Tanzpartner_innen, oder als Pavana, einem geschrittenen Paar-Aufzug, galten im Mittelalter als ständisch geschlossen. Indem der Tod alle hierarchischen Strukturen durchbricht und Tänzer_innen gleich welchem sozialen Stand an der Hand nimmt, wird der Tanz nicht nur Sinnbild für die Gleichheit aller im Tod, als demokratisches Moment, der Tanz bildet in der Gesamtheit auch einen Reigen, einen Kreistanz, der als vollendeter Lebenszyklus, als auch kollektives Erlebnis gelesen werden kann.

Verschränkung von Wort und Bild
In der Auseinandersetzung mit dem Thema Totentanz war es uns besonderes Bedürfnis auf die historische Besonderheit der Intermedialität der Totentänze einzugehen. Die Gegenüberstellung von Wort und Bild. In unserem Totentanz-Abend wird das Wort durch Performance verkörpert, die sich als Körper zum Videobild verhält. In diesem medialen Spiel mit sich selbst, das als Wort, als Präsenz und als Projektion einen gemeinsam erfahrbaren Raum eröffnen, der sich gewohnter Zeitlichkeit widersetzt, soll der Moment des Übergangs als kollektives Erlebnis gefasst werden. Der Übergang, in dem der Tod zum ersten Mal erblickt wird, er seine knöcherne Hand ausstreckt und uns zum letzten Tanz bittet.